Seppy's Blog

Geschichten von Christa Koinig - erscheinen jeden Sonntag im Kurier
27.09.2020

Die Leseratte

Neulich haben wir den Kindern im Linzer Puppentheater Geschichten vorgelesen. Der Drache Basti kann aber viel besser vorlesen als ich, weil ich vor lauter Aufregung immer Buchstaben verschlucke.

Wenn ich lesen sollte „meine sehr geehrten Damen und Herren“, dann klingt das so: „Mäne segerten Damundern“. Das hört sich nicht so gut an, und deshalb hab’ ich mir vorgenommen, ein bisserl zu üben. Ich hab’ mich auf die Suche begeben und auf dem Dachboden ein ganz verstaubtes Buch gefunden, Omamas uraltes Märchenbuch. Ich hab’s sauber gemacht,  meine Brille aufgesetzt, und das Buch aufgeschlagen. Eswamal. Eswamal? Hä? Wie klingt das denn? Sollte das nicht heißen „Es war einmal“? Lese ich schon wieder so schlampig? Nein, hier stand ganz deutlich Es..wa..mal, und weiter: Es..wa..mal ei..sin. Was? Daneben war ein Bild von einer ..... von einer Prinzessin! Ach so, es  sollte vielleicht heißen „es war einmal eine Prinzessin“. Da fehlten ja Buchstaben, ganz viele Buchstaben! Oje, sind die vermodert, weil das Buch schon so alt ist? Oder hat sie gar jemand gestibitzt?

„Nein, nix gestibitzt, gefressen!“ tönte es plötzlich hinter einem großen Eselsohr hervor. „Ich hab’ die Buchstaben gefressen“, sagte das Ding noch einmal, und als ich umgeblättert hab’, konnte ich das Ding sehen, es war eine große Ratte. Ich bin natürlich furchtbar erschocken, aber dann hab’ ich gerufen „raus aus dem Buch von der Omama!“, aber der Ratz hat sich nicht verjagen lassen. „Ich wohne hier, ich bin eine Leseratte, und ich hab’ es gern, wenn Leute lesen. Aber wenn mir langweilig ist, dann fresse ich Buchstaben. Und wenn in einem Buch lange Zeit nicht gelesen wird, ist mir langweilig, und dann ....“. „Jaja, dann frisst du Buchstaben“.

Hmmmmm .....  jetzt hab’ ich eine wunderbare Idee!

Kinder, Wie wär’s, wenn wir alle ganz viel lesen, damit die alte Leseratte keine Buchstaben mehr aufschnabulieren kann? Ist das eine gute Idee?

Euer Seppy

Text von Christa Koinig, erschienen im Kurier am 27.09.2020