Seppy's Blog

Geschichten von Christa Koinig - erscheinen jeden Sonntag im Kurier
16.05.2021

Die Aludose

Es gibt besondere Tage.
Das Wetter war freundlich, die Blüten auf dem Kirschbaum bewegten sich leicht im Wind und die grünen Blätter glänzten in der Sonne.

Ich hatte mir vorgenommen, am Bachufer alles einzusammeln, was nicht dorthin gehört. Also hab’ ich einen Müllsack geschnappt und mich auf den Weg gemacht. Was ich dabei alles gefunden hab’, möchte ich gar nicht sagen. Daheim wieder angekommen wollte ich den Müllsack verschnüren, als ich noch eine leere Getränkedose in der Wiese entdeckte. Spinn’ ich oder was? Mir kam es nämlich plötzlich so vor, als ob mich die Dose anschauen würde und mir etwas sagen wollte. Also hab’ ich mich halt darauf eingelassen, sie angesehen und ihr zugehört. „Warum wirfst du mich weg?“ hat sie gesagt und ich hab’ geantwortet, „weil du wertloser Müll bist.“ „Ich mag kein Müll sein, ich mag nicht wertlos sein“, meinte sie darauf und da hab’ ich mich daran erinnert, was Omama immer sagt. „Nichts auf der Welt ist wertlos, alles hat seinen Sinn.“ Also hab’ ich die Dose gefragt, was sie denn sein möchte. Ihre Antwort hat mich ziemlich überrascht. „Ich wollte immer schon ein Kunstwerk sein.“ Eine Aludose will ein Kunstwerk sein?  Na gut, und während ich gerade noch überlegte, ob ich vielleicht aus der Dose was basteln soll, sagte sie, „ich möchte mich drehen, möchte glänzen, möchte dass mich die Leute bestaunen, und ich möchte wesentlich sein.“

Da hab’ ich ehrlich gesagt ein bissl länger nachdenken müssen, dann aber hatte ich die Mega-Super-Idee! Ich hab’ die Dose einfach in die Äste des Kirschbaums gehängt.

Und da schau her! Sie bewegte und drehte sich leicht im Wind und glänzte in der Sonne. Die Leute würden über die Aludose im Kirschbaum natürlich staunen. Und sie war wesentlich, denn wenn die Kirschen reifen, würde sie die Vögel davon abhalten, die Früchte zu stibitzen.

Ich glaube, sie hat gelächelt, die leere Aludose.

Sag’ ich doch, es gibt besondere Tage.

Euer Seppy

Text von Christa Koinig, erschienen im Kurier am 16.05.2021