Seppy's Blog

Geschichten von Christa Koinig - erscheinen jeden Sonntag im Kurier
20.02.2022

Das traurige Schneeglöckerl

Ich hab’ noch immer ein schlechtes Gewissen, weil ich Omama angeschwindelt hab’. Begonnen hat alles ganz harmlos mit den Essiggurkerln. Omama legt Gurkerl selber ein in ein Gemisch aus Essig und Gewürzen, und die schmecken voll gut. Neulich hab’ ich in der Speisekammer ein Glas entdeckt und heimlich ein paar Gurkerl gestibitzt.

Dann hab’ ich das Glas irgendwie wieder zugemacht. Als uns Omama einige Zeit später zur Jause Essiggurkerl geben wollte, waren alle verschimmelt. „Hat jemand davon genascht?“, wollte sie wissen.

Ich hab’ in die Luft geschaut, als ob mich das nichts anginge, aber Omama hatte mich durchschaut. „Seppy, es ist kein gutes Gefühl, beschwindelt zu werden!“, hat sie gesagt und ich hab’s dann doch zugegeben, dass ich der Gurkerldieb war, ich hab’ mich auch sehr geschämt. Ich bin dann ganz schnell in den Garten gegangen, um mich abzulenken.

Da hab’ ich im Blumenbeet ein kleines Schneeglöckchen entdeckt, auf der winzigen weißen Blüte war ein großer Wassertropfen. „Das ist eine Träne“, hat das Glöckerl traurig gesagt, „ich bin hier so alleine, ich hätte so gern ein paar Freunde neben mir.“ Das einsame Blumerl hat mir leid getan, und irgendwie wollte ich auch mein schlechtes Gewissen los werden, indem ich was Gutes tu’. Ich hab’ also mein ganzes Taschengeld ausgegeben für ein ein paar bunte Primel, die hab’ ich dann eingepflanzt.

„Wie gefallen dir deine neuen Nachbarn?“ wollte ich grad’ fragen, als ich gesehen hab’, die Träne war immer noch da. „Das ist keine Träne, das ist nur ein Tautropfen!“, hat das Glöckerl schnippisch gesagt, „mir war bloß langweilig so allein im Blumenbeet!“

Es ist echt kein gutes Gefühl, beschwindelt zu werden.

Euer Seppy

Text von Christa Koinig, erschienen im Kurier am 20.02.2022