Unsere Omama kann nicht nur stricken und häkeln, sie kann auch wunderbare Dinge flechten. Neuerdings macht sie Sorgenwürmchen. Das sind kleine Glücksbringer, die aus bunten Fäden geflochten werden und dazu beitragen können, dass man weniger Sorgen und Ängste hat.
Ich trag’ so ein Ding ständig bei mir, und bei meiner letzten Wanderung auf der Alm hab’ ich es echt gut brauchen können. Da bin ich nämlich plötzlich einem Monster gegenüber gestanden, das mich laut angebrüllt hat. Vor lauter Schreck hab’ ich mich an den Glücksbringer geklammert. Aber das riesige Tier war nur eine Kuh, und das „Muh!“ hat nichts anderes bedeutet als „Hallo!“ Ich hab’ auch gegrüßt und wollte wissen, wie es ihr geht, doch sie hat nur mit traurigen Augen in die Ferne geschaut. Ich hab’ gefragt, ob sie Sorgen hat, und sie hat gemeint, „ich sorge mich um die Kühe, denen es nicht so gut geht wie mir hier auf der Alm. Viele sind eingesperrt, werden nicht gut behandelt, obwohl sie doch jeden Tag viel gute Milch geben. An ihre armen Baby-Kälber mag ich gar nicht denken.“
Aber Menschen trinken halt Milch und essen Fleisch! Doch die Kuh meinte, „wenn Menschen sich ein wenig mehr zurückhalten würden und nicht alles im Überfluss wollen, könnten wir Tiere und auch die Menschen eine bessere Zeit haben!“
Sie hat mir echt leidgetan und ich war sicher, sie braucht unbedingt ein Sorgenwürmchen. Also hab’ ich ihr eines aus bunten Blumen geflochten.
Sie hat es prüfend angeschaut, dann mit ihrer riesigen Zunge ganz laut geschmatzt und den Glücksbringer kurzerhand aufgefressen.
So konnte ich der traurigen Kuh doch noch eine winzigkleine Freude machen.
Euer Seppy
Text von Christa Koinig, erschienen im Kurier am 22.07.2023