Seppy's Blog

Geschichten von Christa Koinig - erscheinen jeden Sonntag im Kurier
20.10.2019

Loslassen, was man gerne hat

Stellt euch vor, ich hab ein Vogelhaus gebaut,  aber dazu muss ich euch eine Geschichte erzählen. Es war im Frühjahr, Kasperl und ich sind auf der Wiese herumgetollt, auf einmal haben wir ein kleines Irgendwas mitten im Gras sitzen gesehen.

Stellt euch vor, ich hab ein Vogelhaus gebaut,  aber dazu muss ich euch eine Geschichte erzählen. Es war im Frühjahr, Kasperl und ich sind auf der Wiese herumgetollt, auf einmal haben wir ein kleines Irgendwas mitten im Gras sitzen gesehen. Bei näherem Hinschauen haben wir bemerkt, dass es ein Vogelbaby war, es war winzig klein und hatte noch gar keine Federn. Weil es so jämmerlich gepiepst hat, wollte ich es hoch heben, aber Kasperl hat gesagt, wir müssen noch warten, vielleicht ist die Vogelmama schon auf der Suche nach ihrem Vogelbaby. Also haben wir gewartet, aber kein Vogel ist gekommen. Also hab’ ich das kleine Nackerbatzl dann doch mitgenommen, daheim in einer Schuhschachtel ein kuscheliges Nest gebaut und aufgepasst, dass das Vogerl es immer warm hat. Omama hat gewusst, womit man es füttern kann und ich hab ihm fast jede Viertelstunde Futter gegeben, bei Tag und bei Nacht. Langsam hat es dann Federn bekommen, ist in der Schachtel herumgehüpft und konnte auch selber sein Futter aufpicken. Ich war sicher, dass es ein Vogelmädchen war, und hab ihm den Namen Vroni gegeben. Eines Tages hat Vroni begonnen, das Fliegen zu erlernen. Sie war ein wunderschöner Vogel geworden und ich war so stolz darauf, dass ich dieses kleine Wesen gerettet hatte. Ich wollte, dass es Vroni gut bei mir hat und war gerade dabei, einen Käfig zu bauen. „Was machst du da?“ hat Omama gefragt. „Ich baue einen Käfig für Vroni.“  „Seppy, du darfst Vroni nicht einsperren, du musst sie frei lassen.“ „Aber ich hab sie ja so gern und möchte dass sie immer bei mir bleibt.“ Omama hat geantwortet „Seppy, es gibt einen uralten Spruch. Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir - für immer. Das heißt, wenn du etwas gern hast, musst du es eines Tages los lassen.” Und dann hat sie verschmitzt hinzu gefügt,  “aber immerhin hast du dann die Hände frei für was Neues.” Und darum hab ich heimlich dieses Vogelhaus gebaut, vielleicht kommt meine Vroni irgendwann zu mir zurück.

Euer Seppy

Text von Christa Koinig, erschienen im Kurier am 20.10.2019