Seppy's Blog

Geschichten von Christa Koinig - erscheinen jeden Sonntag im Kurier
24.05.2020

Der Staat ist weiblich

Es wird Zeit, dass ich mich von der kleinen Waldameise wieder verabschiede. Ich nenne sie Milli, weil sie mir erzählt hat, dass in ihrem Ameisenreich eine Million Ameisen wohnt.

Die winzige Milli hat mir viel Großartiges aus ihrem Ameisenleben erzählt. Zum Beispiel, dass eine kleine Ameise das Sechzigfache ihres eigenen Gewichts tragen kann. Das wär’ so, als ob ein Mensch ein Auto durch die Gegend transportieren würde. Von der Ameisenkönigin hat sie erzählt, dass diese gar nicht weiß was in ihrem Ameisenreich vor sich geht, weil sie sich nur auf’s Eierlegen konzentriert. Weil die Königin über zwanzig Jahre alt werden kann, kommen da ganz schön viele Eier zusammen. Das bedeutet viel Arbeit zum Hegen, Pflegen und Aufziehen der Ameisenkinder. Das machen die Arbeitsameisen, und sie tun noch viel mehr. Blattläuse werden gemolken, um an den Honigtau zu kommen, Nahrung wird herbei geschafft und der Ameisenbau in Ordnung gehalten. Oft muss sich das Ameisenvolk auch gegen Eindringlinge verteidigen. Dabei sind alle Arbeitsameisen nur Schwestern, es gibt keine Brüder, keine Männchen, also keine Ameiseriche. Alles ist weiblich im Ameisenstaat, und es funktioniert wunderbar, sagt Milli.
Aber was ich noch sagen wollte, mit mir hat Milli zwar gesprochen, weil in meinen Geschichten alles möglich ist, aber in echt haben Ameisen keine Stimme. Sie verständigen sich durch verschiedene Düfte und mit Hilfe ihrer Fühler.
Was mir aber am meisten gefallen hat, die Ameisen machen alles gemeinsam, keine arbeitet nur für sich alleine. Jede Ameise weiß ganz genau was sie zu tun hat. Eine einzelne Ameise ist klein und schwach, aber als Kolonie sind sie unheimlich stark.
Ich glaube, unsere Omama würde sagen: Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das schaffen viele.
Baba, kleine Ameise Milli, mach’s gut! Jetzt muss ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel wischen, denn irgendwie tut jeder Abschied ein bisserl weh.

Euer Seppy

Text von Christa Koinig, erschienen im Kurier am 24.05.2020