Seppy's Blog

Geschichten von Christa Koinig - erscheinen jeden Sonntag im Kurier
13.06.2021

Das Schweinsbratwürstl

Neulich gab es bei uns Bratwürstl. Ich war zwar nicht hungrig, aber ich hatte grad so einen Gusto, dass ich mich gleich darauf gestürzt habe. Doch dann wäre mir der erste Bissen fast im Hals stecken geblieben, denn das Würstl hat auf einmal gesprochen.

„He, warum schlingst du mich so hinunter?“ hat es gerufen.

Weil ich Hunger habe, wollte ich antworten, aber ich wusste, dass das nicht stimmt. Das Würstl hat’s auch gewusst, „du wolltest mich einfach nur möglichst schnell verschlingen, einfach nur so. Und wo bleibt der Respekt?“

Wieso sollte ich bitte vor einem Bratwürstl Respekt haben? „Ich bin ein Würstl, aber ich war einmal ein kluges stolzes Tier. Also Teile von mir“, hat das Würstl gemeint und ich war gespannt, was es mir sonst noch mitzuteilen hat. Also hab’ ich gesagt, „du bist ein Schweinsbratwürstl, also nehme ich an, dass du einmal ein Schwein gewesen bist.“ „Ja, gewissermaßen“, hat das Würstl geantwortet. Jetzt wurde ich erst recht neugierig und hab’ mich eigentlich nicht getraut, diese Frage zu stellen, doch das Würstl hat ganz von sich aus gesagt: „Ja, wir Schweine wissen, dass wir eines Tages aufgegessen werden. Wir haben uns damit abgefunden. Ich sagte dir doch, Schweine sind kluge, stolze Tiere, sie sind gesellig und sie können Freude, Schmerz und Leid empfinden. Alle Tiere können das. Und auch wenn ihnen oftmals ihre Würde genommen wurde, du kannst sie ihnen wieder geben, indem du jedes noch so kleine Stückerl Wurst oder Fleisch achtsam und vor allem mit Genuss verzehrst.“  

Eigentlich wüsste ich das alles, aber von einem Würstl hab ich’s noch nie so in echt gehört.  Das hat mich schon ziemlich berührt.

Da hat mir das Würstl verständnisvoll zugezwinkert. Ich hab’s dann doch aufgegessen, beinahe andächtig und voll Ehrfurcht, aber mit viel Genuss. Und vor allem mit Respekt.

Euer Seppy

Text von Christa Koinig, erschienen im Kurier am 13.06.2021