Seppy's Blog

Geschichten von Christa Koinig - erscheinen jeden Sonntag im Kurier
01.08.2021

Auf dem Meeresgrund

Manchmal wär’ ich gern ein Mensch, die können so vieles, was mir als Puppe niemals gelingen würde.
Aber ich kann Geschichten erzählen. Zum Beispiel die von meinem neuesten Freund. Er ist ein Seestern und heißt Astus.

Astus ist am Sandstrand gelegen, und weil Seesterne ja ins Wasser gehören, hab’ ich ihn wieder dorthin zurück gebracht. Bald war er jedoch wieder da, und mir war, als hätte er gerufen „Hallo Seppy“. Seesterne haben ganz viele winzige Füßchen und können sich damit recht gut bewegen, aber sie haben kein Gehirn. Daher hab’ ich mich gewundert, dass er sich an meinen Namen erinnern konnte. Sie haben auch kein Gesicht, doch Astus hat besorgt ausgesehen. Er hat mir gedeutet, dass ich auf den Meeresgrund mit kommen soll. Zum Glück hab’ ich das den Menschen voraus, ich kann mich irgendwo hin denken, und schon bin ich dort. Ganz so einfach war es jedoch diesmal nicht, denn es sind viele merkwürdige, irgendwie ekelige Dinge im Wasser herum geschwommen. Ich hab’ aber auch wunderschöne bunte Korallen gesehen, die sich langsam im Wasser hin und her bewegten. Eine davon hat jedoch traurig ausgesehen, es war was Durchsichtiges über sie gestülpt, und sie war farblos, grau und fahl. Beim genaueren Hinschauen konnte ich’s erkennen, das Ding war ein Sack aus Plastik. So schnell ich konnte hab’ ich ihn von der Koralle weggezogen, ihre schöne Farbe kam wieder zurück und es schien, als würde sie lächeln. Dann hätte ich mich beinahe in einem Netz verheddert, genauso wie die große alte Schildkröte, die sich nicht mehr bewegen konnte. Nur mühsam hab’ ich sie aus dem Netzgewirr befreien können, und sie ist ganz schnell weggeschwommen, weil sie dringend Luft atmen musste. Astus hatte mich beobachtet. Er war sichtlich erleichtert, doch ich war entsetzt. Plastik und Netze im Meer, wer macht sowas?

„Menschen machen das“, hat Astus gesagt.

Ich glaub’, ich möchte doch kein Mensch sein.

Euer Seppy

Text von Christa Koinig, erschienen im Kurier am 01.08.2021